Rund 8000 ganz unterschiedliche Erkrankungen gelten weltweit als selten. Unter dem Begriff „Seltene Erkrankungen“ werden verschiedenste Erkrankungen zusammengefasst, denen nur gemeinsam ist, dass sie selten auftreten. Insgesamt leiden in Deutschland schätzungsweise rund vier Millionen Menschen an einer Seltenen Erkrankung.
Auch in der Urologie gibt es Seltene Erkrankungen. Sie können genetisch bedingt sein, durch Infektionen oder Parasiten hervorgerufen werden und manchmal sind die Ursachen vielfältig oder nicht gänzlich erforscht.
Auf dieser Seite finden Sie in alphabetischer Reihenfolge Informationen zu einigen seltenen urologischen Erkrankungen:
Ausstülpungen der Blasenwand (Blasendivertikel)
Blasenbilharziose
Fournier – Gangrän
Harnstein aus Zystin
Interstitielle Cystitis (IC)
Klinefelter Syndrom
Nässender Nabel (Urachusfistel)
Retroperitoneale Fibrose
Von-Hippel-Lindau-Syndrom
Diese Auflistung ist nicht vollständig und wird kontinuierlich ergänzt.
Ausstülpung der Blasenwand (Blasendivertikel)
Angaben zur Häufigkeit
Prävalenz: Angeborene Blasendivertikel: 1,7 %
Ursache
- Angeboren (Schwäche der Blasenwand)
- im Laufe des Lebens erworben (Harnabflussstörung aus der Blase)
Eine sackförmige Ausstülpung von Anteilen der Blasenwand nennt man Blasendivertikel.
Es gibt angeborene und sog. erworbene Ausstülpungen, die im Laufe des Lebens auftreten. Bei den seltenen angeborenen Divertikeln ist eine Schwäche der Blasenwand ursächlich. Ausstülpungen, die erst später auftreten, entstehen hingegen infolge eines erhöhten Drucks in der Blase, der über einen langen Zeitraum besteht. Dies ist z.B. bei Männern der Fall, die unter einer vergrößerten Prostata leiden. Dann ist nämlich ein höherer Druck notwendig, um die Blase vollständig trotz des Abflusshindernisses unterhalb der Blase, das die Harnröhre einengt, zu entleeren. Der ständig erhöhte Druck sorgt dafür, dass sich irgendwann die Harnblasenschleimhaut durch bestehende kleinste Lücken in der Blasenmuskulatur nach außen herausstülpt. Diese Ausstülpungen können sehr unterschiedliche Größen haben, teils können sie größer als die Blase selbst werden. Den Übergang vom Blaseninneren in das Divertikel bildet der Divertikelhals. Es ist eine kleine Öffnung, durch die sich das Divertikel mit Urin füllt. In vielen Fällen wird das Divertikel beim Wasserlassen ebenfalls entleert. Hin und wieder wirkt der Divertikelhals jedoch ähnlich wie ein Schließmuskel, so dass der Urin nicht mehr so gut abfließen kann.
Durch das Divertikel werden üblicherweise keine spezifischen Beschwerden verursacht. Liegen jedoch Beschwerden vor, können sie vielfältig und oft auch durch die Ursache, meist eine vergrößerte Prostata, bedingt sein: häufigeres Wasserlassen in kleinen Portionen und häufiges nächtliches Wasserlassen, Schmerzen beim Wasserlassen, schwacher Harnstrahl, ein Gefühl des unvollständigen Wasserlassens mit Resturin in der Blase und Nachtröpfeln. Durch den stehenden Urin, der sich in der Ausstülpung sammelt, und den Resturin nach dem Wasserlassen können sich wiederkehrende Blasenentzündungen und auch Blasensteine entwickeln. Prinzipiell kann sich an der Schleimhaut der Ausstülpung auch ein Tumor bilden.
Viele Blasendivertikel werden zufällig, z.B. bei der Abklärung von Beschwerden beim Wasserlassen, im Ultraschall entdeckt. Mittels Ultraschall werden dann auch die Nieren untersucht, um auszuschließen, dass die Ausstülpung den Urinabfluss aus den Nieren beeinträchtig, in dem sie z.B. auf den Harnleiter drückt. Wird eine Ausstülpung festgestellt, wird überprüft, ob eine Harnabflussstörung durch z.B. eine vergrößerte Prostata besteht.
Eine Blasenspiegelung ist ebenfalls sinnvoll: Sowohl die Harnröhre und die Blase als auch die Beschaffenheit des Divertikels von innen und seine Lage im Vergleich zur Einmündung des Harnleiters in die Blase können untersucht werden. In bestimmten Fällen wird eine Röntgen-Kontrastmitteluntersuchung der Blase und des Divertikels oder eine Computertomographie zur weiteren Untersuchung herangezogen.
Nicht jede Ausstülpung muss entfernt werden. Eine Behandlung bzw. Entfernung ist dann notwendig, wenn sie zu Problemen beim Wasserlassen, chronischen Entzündungen des Harntrakts, Blasensteinen, Tumoren oder einem Harnstau führt. Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten für unterschiedliche Patienten- und Befundkonstellationen. Diese reichen von einer Blasenkathetereinlage, über eine Blasenspiegelung in Narkose mit Eröffnung des Divertikelhalses bis zu einer offenen Operation. Hat sich ein Divertikel aufgrund einer vergrößerten Prostata gebildet, sollte erst die Ursache und dann gegebenenfalls die Ausstülpung behoben werden.
Blasenbilharziose
Angaben zur Häufigkeit
Prävalenz: < 1/ 1 000 000
Ursache
Parasitäre Erkrankung
Die Blasenbilharziose wird auch Schistosomiasis, die Harnorgane und Genitale betrifft, genannt. Es ist eine (sub)tropische Wurmerkrankung, die durch einen Saugwurm namens Schistosoma haematobium ausgelöst wird. Diese Erkrankung kommt vor allem in Afrika, aber auch im Nahen Osten und mittlerweile auch in Korsika vor. Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser und ausreichenden sanitären Einrichtungen sind besonders gefährdet. Durch erkrankte Reisende kann dieses Krankheitsbild auch in Deutschland auftreten. Es gibt weitere Saugwürmer, die den Darm und die Leber befallen können.
Die Eier des Erregers gelangen über den Urin oder den Stuhl eines Erkrankten in Süßwasser, wo aus den Eiern freiwerdende Larven eine Süßwasserschnecke befallen. In dieser verwandeln sie sich in infektiöse Larven, die wieder in das Wasser abgegeben werden und die Haut eines Menschen, der z.B. badet, durchdringen und dadurch in die venöse Blutbahn gelangen. Hier entwickeln sich die Larven zu erwachsenen Saugwürmern und die Weibchen legen im Fall der Blasenbilharziose die Eier in ein Venengeflecht in der Blasenwand. Die Eier können durch die Blasenwand in den Urin und beim Wasserlassen wieder in ein Gewässer gelangen.
Zu den Beschwerden gehört eine örtlich begrenzte Entzündungsreaktion der Haut am Eintrittsort des Erregers, häufig zwischen den Zehen. Die Blasenbilharziose ist gekennzeichnet durch blutigen oder eitrigen Urin sowie Brennen beim Wasserlassen, vor allem zum Ende des Urinstrahls. Wird sie nicht behandelt, entsteht ein chronisches Stadium:
Durch die abgelegten Eier kommt es zu einer starken Entzündungsreaktion in der Blasenwand und einem Umbau des Gewebes, der wiederum zu einer Verhärtung und Narbenbildung führt. Dieser Zustand wird durch die lange Lebenszeit der Saugwürmer aufrechterhalten. Durch die Verhärtung und Abnahme der Flexibilität der Blasenwand verkleinert sich das Füllungsvermögen der Blase. Häufigeres Wasserlassen, wiederkehrende Entzündungen bis hin zu ungewolltem Urinverlust können die Folge sein. Die chronische Entzündung in der Blasenwand kann zur Entstehung von Tumoren führen.
Betrifft die Verhärtung auch den unteren Anteil der Harnleiter, kommt es hier zu einer Verengung und der Urinabfluss aus der Niere wird erschwert. Der Patient kann deshalb unter Koliken, Steinen und einem Harnstau leiden, der zu einem Nierenversagen führt. Die Krankheit kann auch Auswirkungen im Bereich der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane haben, z.B. Blut im Sperma und Verengung bzw. ein Verschluss der Eileiter mit verminderter oder fehlender Fruchtbarkeit.
Zur Feststellung der Erkrankung wird eine Urinprobe unter einem Mikroskop auf die Parasiteneier untersucht. Antikörper im Blut weisen ebenfalls auf eine Infektion hin. Mittels Ultraschall können die Nieren bezüglich eines Harnstaus und die Blase bezüglich einer Verdickung der Wand und ihrer Kapazität untersucht werden. Bei einer Blasenspiegelung zeigen sich verschiedene Veränderungen der Schleimhaut.
Die Erkrankung kann mit einem Medikament namens Praziquantel sehr gut behandelt werden. Bei einem sehr fortgeschrittenem Stadium, das hier jedoch extrem selten ist, können eine Teilentfernung des Harnleiters oder der Blase notwendig werden. Im Falle eines bereits bestehenden Blasentumors muss die Blase entfernt werden.
Zur Vorbeugung sollte in Gebieten, in denen die Blasenbilharziose ständig vorkommt, der Kontakt mit stehendem bzw. langsam fließendem Süßwasser gemieden werden
Fournier – Gangrän
Angaben zur Häufigkeit
Inzidenz: 1,6 Fälle pro 100 000 Männer pro Jahr
Ursache
Bakterielle Infektion
Die Fournier – Gangrän ist eine seltene, aber sehr aggressive Infektion von Bindegewebe, das Muskeln oder Muskelgruppen umgebt, und zum Gewebetod führt. Die Infektion geht vom Hodensack bzw. dem Genitalbereich aus und kann sich schnell in benachbarte Körperregionen ausbreiten. Diese Erkrankung muss sofort behandelt werden, denn es besteht ein großes Risiko, an ihr zu versterben.
Die Entzündung wird durch verschiedene Keime gleichzeitig ausgelöst. Ein besonderes Risiko für diese Erkrankung haben Patienten mit einem hohen BMI, einem geschwächten Immunsystem, meist der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), und einer kürzlich stattgefundenen Verletzung oder Operation im Genitalbereich.
Schmerzhafte Schwellung, Rötung und ein Knistern der Haut am Hodensack oder an anderen Stellen des Genitalbereichs gehören zu den Beschwerden. Später zeigen sich zusätzlich schwarze Hautstellen, in denen bereits Gewebetod aufgetreten ist. Fieber und Zeichen einer Blutvergiftung (z.B. ein niedriger Blutdruck oder eine beschleunigte Atmung) kommen hinzu.
Der Arzt führt eine genaue körperliche Untersuchung durch und nimmt Blut ab. Der Urin wird ebenfalls untersucht. In einigen Fällen ist eine Computer – oder Magnetresonanztomografie hilfreich.
Zur Behandlung der Fournier-Gangrän gehört ein Antibiotikum, das möglichst viele im Verdacht stehende Erreger umfasst, und die operative Entfernung der Areale, die bereits vom Gewebetod betroffen sind. Diese Entfernung wird so lange durchgeführt, bis nur noch gesundes Gewebe übrig bleibt. Dies kann manchmal zu sehr großen Wunden führen. Im Verlauf werden meist regelmäßige, weitere Operationen zur erneuten Wundreinigung durchgeführt, um die Wundheilung zu sichern.
Häufig ist zudem eine Versorgung auf der Intensivstation notwendig, wenn der Kreislauf bereits durch die Blutvergiftung eingeschränkt ist.
Harnstein aus Zystin und Zystinurie
Angaben zur Häufigkeit
Prävalenz: 1-5/10 000
Ursache
Genetisch bedingte Erkrankung
Dieser Text befasst sich mit speziellen Informationen über die seltenen Zystinsteine. Die Beschwerden, die akut notwendigen Untersuchungen zur Feststellung eines Steinleidens sowie die akute Behandlung bzw. die Steinentfernung im Verlauf sind in der Regel wie bei anderen Steinarten auch. Daher verweisen wir an dieser Stelle auf den Text „Harnleiterkolik bei Harnleiterstein“ , wo Sie die allgemeinen Informationen zu Harnsteinen finden.
Die Bildung von Zystinsteinen im Harntrakt beruht auf einer vererbbaren Erkrankung namens Zystinurie. Bei einer Zystinurie wird durch einen Defekt im Filtersystem der Niere zu viel von der Aminosäure Zystin mit dem Urin ausgeschieden. Zystin ist schlecht in Wasser bzw. in Urin löslich. Dies hat zur Folge, dass sich Zystinkristalle bzw. Zystinsteine im Harntrakt bilden. Diese Art von Steinen machen ca. 0,5 % aller Harnsteine aus. Beschwerden können bereits im Kindesalter auftreten.
Wird ein Stein bei einer Operation entfernt oder wird er beim Wasserlassen aufgefangen, erfolgt eine Steinanalyse, in der die genaue Zusammensetzung bestimmt wird. Zusätzlich wird bei Verdacht auf eine Zystinharnsteinerkrankung eine ausführliche Urinuntersuchung gemacht, bei der unter anderem die Zystinmenge, die in 24 Stunden ausgeschieden wird, gemessen wird. Ist diese erhöht und ergibt die Steinanalyse einen Zystinstein, liegt eine Zystinurie vor.
Patienten mit einer Zystinurie haben ein sehr hohes Risiko, in ihrem Leben immer wieder Steine zu bilden und sich einer Behandlung bzw. einer Operation unterziehen zu müssen. Wenn die Erkrankung festgestellt wurde, ist es daher sehr wichtig, bestimmte Maßnahmen einzuhalten, um eine neue Steinbildung zu vermeiden. Um Zystin überhaupt zu lösen, bedarf es einer sehr hohen Urinmenge, die durch den Harntrakt fließt, und einem basischen Milieu mit hohem pH-Wert. Erwachsene sollten so viel trinken, dass sie über 3,5 Liter Urin am Tag produzieren. Auch Kinder müssen auf eine ausreichende Trinkmenge achten. Zusätzlich muss der Urin-pH-Wert mithilfe von Tabletten auf einen Wert über 7,5 gebracht werden, damit sich das Zystin besser löst. Überprüft werden kann der Urin-pH-Wert mittels Teststäbchen zuhause. Sollten trotz dieser Maßnahmen weiterhin neue Steine auftreten oder die Zystinmenge im Urin sehr hoch sein, kann mit einem Medikament namens Tiopronin die Konzentration im Urin gesenkt werden. Patienten mit einer Zystinurie brauchen eine regelmäßige urologische Anbindung.
Interstitielle Cystitis (IC)
Angaben zur Häufigkeit
Prävalenz: 1-5/ 10 000
Ursache
unbekannt
Bei der Interstitiellen Cystitis (IC) handelt es sich um eine extrem schmerzhafte, nichtbakterielle chronische Entzündung der Harnblasenwand. Bis heute ist das Krankheitsbild dieser seltenen urologischen Erkrankung auch unter Ärzten noch immer relativ unbekannt. Die Diagnose „Interstitielle Cystitis“ wird häufig erst nach jahrelanger Arzt-Odyssee schließlich zu 99 Prozent von Urolog:innen gestellt.
Die genauen Ursachen sind bisher ungeklärt. Experten gehen von einem Immun- und Barrieredefekt im Gewebe der ableitenden Harnwege, im Besonderen der schützenden sogenannten GAG-Schicht der Harnblase aus, wodurch die Blasenwand vermehrt schädigenden Bestandteilen des Urins ausgesetzt ist und ein andauernder Entzündungsprozess ausgelöst werden kann.
Typische Symptome einer Interstitiellen Cystitis sind stechende Unterleibsschmerzen und ständiger Harndrang mit bis zu 60 Toilettengängen über Tag und Nacht. Die überwiegend weiblichen Patienten stehen unter enormem Leidensdruck und geraten nicht selten in die soziale Isolation und in die Erwerbsunfähigkeit. Einige Patienten leiden zusätzlich an Muskel- und Gelenkschmerzen, Migräne, Allergien, Dickdarm- und Magenproblemen.
Die Therapie der IC bedarf adäquater interdisziplinärer Behandlungsmethoden. Dazu zählen: medikamentöse Therapien, Blaseninstallationen oder Botox-Injektionen sowie u.a. Physio- und Schmerztherapie. Sie können ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern und Symptome lindern. Heilbar ist eine IC nicht; in seltenen Fällen kann eine Entfernung der Harnblase erforderlich sein.
Weitere Informationen sowie ausgewiesene IC-Zentren und Beratungsstellen in neun Bundesländern finden Sie auf der Webseite des ICA-Deutschland e.V., gemeinnützige Gesellschaft und Förderverein Interstitielle Cystitis, www.ica-ev.de
Die Patienteninformation zur IC basiert auf der S2K-Leitlinie „Therapie und Diagnostik der Interstitiellen Cystitis (IC/BPS)“, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. erstellt wurde.
Klinefelter Syndrom
Angaben zur Häufigkeit
Inzidenz: 1-2/1000 männlichen Neugeborenen pro Jahr
Ursache
Genetisch bedingte Erkrankung
Jungen und Männer mit dem sogenannten Klinefelter-Syndrom sind Träger einer angeborenen Chromosomenstörung, bei der zusätzlich zum normalen Chromosomensatz 46, XY ein weiteres X-Chromosom vorliegt. Unbehandelt drohen Testosteronmangel, Unfruchtbarkeit, Erektionsstörungen, Osteoporose und Diabetes mellitus.
Die Ursachen sind nicht bekannt, das Risiko steigt mit dem Alter der Mutter.
Erkannt wird die Abweichung der Geschlechtschromosomen nur in rund 20 Prozent der Fälle. Im Kindesalter sind die betroffenen Jungen tendenziell eher ruhig. Sprachentwicklung und Feinmotorik können gestört sein. Die Pubertät tritt oft verzögert oder vermindert ein. Häufig sind Körperbehaarung, Bartwuchs und Stimmbruch wenig ausgeprägt. Auch überdurchschnittliches Längenwachstum und Brustentwicklung können Symptome sein. Alle Betroffenen haben eine Unterentwicklung der Hoden mit nur geringer Größe und haben demzufolge eine verminderte Testosteronproduktion sowie nur wenige oder keine zeugungsfähigen Spermien.
Die optimale Behandlung beginnt im Grundschulalter mit Ergotherapie und gegebenenfalls ab der Pubertät mit lebenslangem Testosteronersatz. Mithilfe moderner Reproduktionsmedizin gelingt es in etwa 50 Prozent der Fälle, zeugungsfähige Spermien operativ aus dem Hodengewebe zu entnehmen und für eine spätere Kinderwunschbehandlung zu konservieren. Bestmöglichen Erfolg zeigt die Spermiengewinnung zwischen Pubertätsbeginn und frühem Erwachsenenalter, und zwar vor der dauerhaften Testosterongabe.
Weitere Informationen finden Sie unter www.klinefelter.de
Dem Klinefelter-Syndrom selbst kann man nicht vorbeugen, wohl aber den Folgeerkrankungen. Wichtig sind:
- aufgeklärte Eltern, die die Krankheitszeichen kennen
- Ärzt:innen, die im Rahmen der J1-Untersuchung im Alter zwischen 12 und 14 Jahren betroffene Jungen identifizieren
- die frühe Erkennung und Behandlung der Chromosomenstörung.
Nässender Nabel (Urachusfistel)
Angaben zur Häufigkeit
Prävalenz: Bei Kindern unter 15 Jahren: 1,6 %, bei Erwachsenen: 0,063 %
Ursache
Fehlentwicklung in der Fetalperiode
Während der Entwicklung des Kindes im Mutterleib besteht eine offene Verbindung zwischen der angelegten Blase und dem Bauchnabel. Normalerweise verschließt sich dieser Gang im Laufe der Zeit und es bleibt ein Strang aus Bindegewebe an der Innenseite der vorderen Bauchwand übrig. Dieser Strang nennt sich Urachus. Wenn jedoch kein Verschluss dieses Ganges stattfindet, besteht weiterhin eine offene Verbindung zwischen Blase und Nabel, d.h. der Urachus ist durchgängig und es liegt eine sog. Urachusfistel vor.
Meist fällt bei den Neugeborenen bzw. im Kindesalter ein Verlust von kleinen Mengen Flüssigkeit (Urin) über den Bauchnabel auf. Der Bauchnabel kann zudem geschwollen, ggf. auch entzündet sein. Es können Schmerzen oder ein Infekt der Blase auftreten. In seltenen Fällen kommt es erst im Erwachsenenalter zu Beschwerden.
Die Urachusfistel ist mittels Ultraschall oder einer Röntgen-Kontrastmitteluntersuchung zu sehen, bei der die Blase mit Kontrastmittel gefüllt wird und die Verbindung zum Bauchnabel mit Kontrastmittel gefüllt sichtbar wird. Sind diese Untersuchungen nicht aussagekräftig, kann eine Magnetresonanztomografie durchgeführt werden.
Die Behandlung besteht in der Entfernung der Urachusfistel durch eine Operation. Alternativ kann versuchsweise ein Blasenkatheter eingelegt werden, damit kein Urin mehr über den Nabel herausfließt. Möglicherweise kommt es dadurch zu einem Verschluss der Urachusfistel
Retroperitoneale Fibrose
Angaben zur Häufigkeit
Prävalenz: 1-9/100 000
Ursache
In vielen Fällen unbekannt; ansonsten: u.a. autoimmun, medikamentös, infektiologisch bedingt.
Die retroperitoneale Fibrose wird auch Morbus Ormond genannt und ist eine Ansammlung von entzündlich verändertem, derbem Bindegewebe, das sich im hinteren Bauchraum vermehrt. Dieses umwächst und drückt auf die hier liegenden Organe und Blutgefäße. Im Besonderen sind der Harnleiter, die große Bauchschlagader (Aorta) und die große Hohlvene betroffen. Das Bindegewebe kann auch in diese Strukturen einwachsen.
Typischerweise liegt der Erkrankungsbeginn zwischen dem 40. Und 60. Lebensjahr.
Bei 7 von 10 Patienten ist die Ursache unklar. Es wird hier ein Prozess vermutet, bei dem sich das Körperabwehrsystem (Immunsystem) gegen Bestandteile des eigenen Körpers richtet (Autoimmunprozess). In den übrigen Fällen können bestimmte Medikamente, Infektionen (z.B. Tuberkulose), eine vorherige Bestrahlung, Blutung oder Operation in diesem Gebiet der retroperitonealen Fibrose zugrunde liegen. Manchmal entsteht sie auch in Verbindung mit anderen Erkrankungen, die auf einem Autoimmunprozess beruhen.
Patienten leiden ab einer gewissen Größe der Bindegewebsmasse unter Rücken- oder Flankenschmerzen. Ein allgemeines Krankheitsgefühl oder ein Gewichtsverlust können auftreten. Werden die Harnleiter von außen abgedrückt, kann der Urin aus der Niere nicht mehr in die Blase abfließen und es kommt zu einem Harnstau. Besteht dieser länger, kann es zusätzlich zu den Flankenschmerzen zu einem Nierenversagen kommen. Wird der Druck auf die große Bauchschlagader zu groß, tritt eine Durchblutungsstörung der Beine mit Schmerzen bei Bewegung auf. Dagegen leidet der Patient unter Wassereinlagerungen in den Beinen und Krampfadern, wenn die große Hohlvene abgedrückt wird.
Zur Bestätigung der Erkrankung wird das Blut untersucht. Hier können bestimmte Entzündungs- und Nierenwerte erhöht sein. Mittels Ultraschall wird die Niere auf einen Harnstau untersucht. Eine Computer- oder Magnetresonanztomografie kann die Bindegewebsmasse genauer darstellen und helfen, einen Tumor auszuschließen, der ein ähnliches Krankheitsbild hervorrufen kann. In bestimmten Fällen ist jedoch trotzdem eine Probenentnahme aus dem Gewebe zur sicheren Feststellung der retroperitonealen Fibrose notwendig.
Ein Harnstau der Nieren sollte umgehend mit Harnleiterschienen oder einem Nierenfistelkatheter behoben werden, um den Harnabfluss zu ermöglichen und die Nierenfunktion zu bewahren. Zur Behandlung der Erkrankung an sich werden Kortison und andere Arzneimittel eingesetzt, die eine Reaktion des körpereigenen Abwehrsystems unterdrücken (Immunsuppressiva, z.B. Azathioprin). Das Ziel ist, die Entzündung und die Ausbreitung des Gewebes zu bremsen und damit die Beschwerden zu lindern. Zudem ist es wichtig, einen möglichen Auslöser der retroperitonealen Fibrose ausfindig zu machen und ihn zu behandeln. In bestimmten Fällen, z.B. wenn die Therapie mit o.g. Medikamenten erfolglos ist, können die Harnleiter durch eine Operation vom hinteren Bauchraum in den eigentlichen Bauchraum selbst verlagert werden, um ihn vor dem Druck des Bindegewebes zu schützen.
Die retroperitoneale Fibrose ist eine chronisch-rezidivierende Erkrankung, die regelmäßiger Kontrollen bedarf.
Von-Hippel-Lindau-Syndrom
Angaben zur Häufigkeit
Prävalenz: 1-9/100 000
Ursache
Genetisch bedingte Erkrankung
Das Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL) ist ein seltenes, vererbbares Krebssyndrom. Es ist benannt nach dem deutschen Augenarzt Eugen von Hippel und dem schwedischen Augenarzt Arvid V. Lindau. Die Erkrankung beruht auf einer Veränderung des VHL-Gens auf dem Chromosom 3. Je nach Art der genetischen Veränderung sind unterschiedliche Organe betroffen.
Prinzipiell können beim VHL gut- und bösartige Tumore des zentralen Nervensystems, der Augen, der Niere und Nebenniere, der Bauchspeicheldrüse und weiterer Organe auftreten. Die Tumore sind in der Regel sehr gut durchblutet. Bei der Niere und bei der Bauchspeicheldrüse können auch flüssigkeitsgefüllte Hohlräume, sog. Zysten, vorliegen.
In diesem Text geht es vorrangig um die Auswirkungen des VHL auf dem urologischen Gebiet, nämlich um den bösartigen Nierenkrebs, der bei ca. 5 von 10 Patienten mit einem VHL auftritt. Typischerweise tritt dieser im frühen Alter (zwischen 20 und 50 Jahren) auf. Häufig entstehen mehrere Tumore an beiden Nieren. Der Patient hat diesbezüglich entweder keine Beschwerden oder er berichtet von Flankenschmerzen oder Blut im Urin.
Festgestellt werden diese Tumore durch eine Ultraschalluntersuchung und eine Computertomografie bzw. Magnetresonanztomografie des Bauches.
Der Nierenkrebs ist, nachdem die Tumore des zentralen Nervensystems mittlerweile sehr gut behandelt werden können, eine häufige Todesursache bei Menschen mit einem VHL.
Die Tatsache, dass die Nierentumore bei jüngeren Menschen, meist mehrfach und an beiden Nieren vorliegen und auch nach einer Behandlung erneut auftreten können, stellt ein Problem dar. Im Allgemeinen befinden sich die Tumore in einem frühen Tumorstadium, trotzdem ist im Verlauf ein Tumorwachstum und das Auftreten von Absiedlungen, sog. Metastasen, möglich. Einerseits müssen also diese Tumore ab einem gewissen Zeitpunkt behandelt, andererseits sollte bei einem jungen Patienten möglichst viel Nierengewebe erhalten werden, um die Funktion der Niere zu gewährleisten. Mehrere Studien empfehlen daher, Nierentumore bis zu einer Größe von 3 cm zu beobachten und ab einer Größe von 3 cm zu behandeln. Üblicherweise wird dann an erster Stelle eine Operation durchgeführt, bei der die Tumore so vollständig wie möglich entfernt und möglichst viel gesundes Nierengewebe erhalten wird. Oder es besteht – bei bestimmten Patienten – die Möglichkeit einer weniger invasiven Behandlung mittels sog. Thermoablation. Dies ist eine Methode, bei der das Tumorgewebe entweder mittels Kälte oder Hitze zerstört wird.
Ist ein Erhalt der Niere nicht mehr möglich, weil es z.B. zu viele bzw. zu große Tumore sind oder erneut Tumore nach Voroperation aufgetreten sind, wird eine Nierenentfernung durchgeführt.
Im Anschluss an eine Behandlung muss der Patient regelmäßig untersucht und kontrolliert werden, um auszuschließen, dass neue Tumore entstanden sind. Dies gilt auch für die anderen Organe, z.B. die Augen, die beim VHL betroffen sein können.